Schwarzes Habit Frau Bergs Inszenierungspraktiken bei Sibylle Berg Von Patrícia Ďuranová

25. 1. 2023 Patrícia Ďuranová

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Schwarzbekleidet, frech, überall präsent und hat immer etwas zu sagen. Über Sibylle Berg und ihre Inszenierungspraktiken.

Im Dokumentarfilm der Schriftstellerin mit dem Titel „Wer hat Angst vor Sibylle Berg?“ erzählt Berg Geschichten aus ihrer Kindheit. Eine finde ich besonders gut: Den Dokumentaristinnen sagt sie, dass sie die Gedichte von Edgar Alan Poe bereits als 6-jährige gelesen hat. Gedichte, die auch für manche Erwachsene schwierig zum Lesen sind. In diesem Artikel geht es um Sibylle Berg als Persönlichkeit, als Schriftstellerin, die um sich eine Fassade der Selbstinszenierung gebildet hat.

Lebensgeschichte wie erfunden

Ein Konnex zwischen den Werken und ihrer Lebensgeschichte fällt gleich auf – beide sind gefüllt von Schärfe und unangenehmen Lebensepisoden. Geboren ist Berg in 1962 in Weimar. Sie machte eine Ausbildung zur Puppenspielerin, wobei sie ihre ersten Jahre der Ausbildung im Naumburger Puppentheater verbracht hat. In der DDR leben wollte sie aber nicht, aus diesem Grund (teilweise auch, weil ihre Mutter Alkoholikerin war) schrieb sie einen Brief an Honecker mit dem Ziel vor Augen- in die BRD zu gehen. Nach Monaten hatte sie endlich ein Ausreiserlaubnis. Die Zeit im Ausland war aber eher eine persönliche Tragikomödie. Als eine junge Frau im „fremden“ Land hatte sie es nicht leicht, wie übrigens ihr ganzes Leben lang: Gelegenheitsjobs, niemand, der ihr helfen würde, Versuche, ihre tragische Reise für immer zu beenden. Das letzte wäre ihr, ungeplant, beinahe gelungen. Beim Autounfall kam sie fast ums Leben, selbst beschreibt die Schriftstellerin diese Nahtoderfahrung als „relativ romantisch“. Dank zahlreichen Operationen hat sie ihr Gesicht zurückgekriegt und damit auch Lust, schriftstellerisch tätig zu sein. Bergs erster Roman erscheint im Jahr 1997. Seitdem bleibt sie immer sichtbar und aktiv in ihrer Karriere. Außer Bücher schreibt sie Kolumnen, kämpft für Rechten der LGBTQ+ Kommunität und wie immer erzählt sie viel und oft, verrät aber wenig.

Berg und Inszenierungspraktiken

Die Art und Weise, wie sich, nicht nur Berg, sondern viele, fast alle Schriftsteller im öffentlichen Raum präsentieren, ist kein Zufall, sondern eine von ihnen, ja ihrem Team ausgedachte „Show“. Um präzise die Inszenierungspraktiken zu beschreiben, benötigt man eine klare Ausgrenzung und Darstellung von diesem Konzept. Nach Jürgensen und Kaiser versteht man unter Inszenierungspraktiken jene textuellen, paratextuellen und habituellen Techniken und Aktivitäten, mit denen die Künstler in Öffentlichkeit für ihre Produkte Aufmerksamkeit erwecken, und dadurch mitunter eigene Popularität produzieren. Als Ziel dieser Inszenierungspraktiken wird die Markierung und das Sichtbar – Machen einer sich abgrenzenden, wiedererkennbaren Position innerhalb des literarischen Feldes genannt. Es lassen sich grundsätzlich 2 Haupttypen von Inszenierungspraktiken beobachten. Wichtigste Fragen dabei sind wo und wie diese Praktiken geschaffen werden. Antwort auf die erste Frage, also wo das Inszenierungsverfahren angesiedelt ist, lässt sich unter der lokalen Dimension finden. Der „Spielraum“ ist natürlicherweise der Text selbst. Neben den distinktiven textuellen Merkmalen wie Genre geht es auf der anderen Ebene um paratextuelle Inszenierungspraktiken, die weiter in peritextuelle und epitextuelle Typen zerfallen. Peritextuelle Praktiken hängen eng mit dem Titel oder Motti zusammen. Epitextuelles Verfahren konzentriert sich auf Selbstkommentare zum Werk, Kolloquien, Debatten und ähnliche „Nebenprodukte“ des literarischen Schaffens.

„Echtes“ Gesicht zeigen – mehr Geld?

Viel wichtiger im Falle Bergs scheint mir die habituelle Praxis, die sich der Frage widmet, wie sich der Autor im öffentlichen Raum präsentiert? „Lebensstil“ spielt bei dieser Theorie eine wesentliche Rolle. Der Stil kann aber nicht einfach als ein persönliches, mit dem Autor verbundenes Merkmal gelesen werden. Vielmehr lässt sich dieser Begriff mit einer Inszenierungspraktik erklären, wobei der Stil als ein Produkt sozialer Interaktion“ verstanden wird. Habituelle Praktiken spiegeln sich in Fotografien, Interviews oder in Tondokumenten wider. Auf allen Ebenen von Inszenierungspraktiken muss der „Beobachter“ daran denken, dass es in erster Reihe um Inszenierung geht. Diese Praktiken, mit denen Autoren arbeiten, sind vorher ausgedachte Verhaltungs- und Präsentationsmuster, die bewusst und oft nach Absprache mit Verlagen und Herausgebern vorgeführt werden.

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Eigene Haut zu Markte bringen

Um oben beschriebene Praktiken konkret vorzustellen, nehme ich ein Coverfoto von Sibylles Roman – Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot. Dieses Buch ist ihr Debütroman, der beim Reclam Verlag herausgegeben wurde. Auf diesem Cover liegt Berg nackt mit einer Zigarette im Bett. Wenn man über die Gestaltung des Covers spricht, kam der Impuls für dieses Fotos höchstwahrscheinlich vom Verlag. Da Sibylle Berg damals eine unbekannte Schriftstellerin war, war die gut aussehende junge Frau eine perfekte Lösung für das Coverfoto. Auch diese Tatsache hat sicher dazu beigetragen, dass ihr Werk ein Bestseller wurde, das ihr ein Ticket in die Welt der deutschen Literatur verschafft hat. Dieses Verfahren, Hand in Hand mit der „Umgebung“ um die Schriftstellerin, bildet einen wesentlichen Teil der Inszenierungspraktiken bei den Schriftstellern.

Schwarze Farbe und starke Meinungen

In jedem Interview, in jeder Diskussion, verstreut Berg Spuren von Inszenierungspraktiken. Immer schwarz bekleidet ist sie jederzeit blitzschnell bereit, Antworten auf ihre eigene Art und Weise zu geben, immer mit starken Argumenten und Meinungen ausgerüstet. Kein leichter Gesprächspartner. Das alles zählt zur „Illusio“ der Schriftstellerin, das alles ist ein Teil ihrer Bücher- Präsentation. Vor Themen, vor allem politisch gefärbt, hat sie keine Angst. Offen unterstützt sie Minderheiten, weist auf Unterschiede zwischen Gesellschaftsklassen hin, kämpft für Rechte von der LGBTQ+ Kommunität. Für den literarischen Markt ist Berg ein „Produkt“ par excellence. Und für die Analyse von Inszenierungspraktiken auch.

Wann ist sie also echt?

Was ist eine Theorie ohne einen Spielraum für Diskussion? Natürlicherweise lässt sich Sibylle Berg, ihr Werk, ihre „Illusio“ von ihr selbst nicht einfach trennen. Das Ziel ist auch nicht zu zeigen, wo sie etwas „vorspielt“ und wo sie „ihr echtes Gesicht“ zeigt. Wichtiger scheint mir daran zu denken, dass eingesetzte Inszenierungspraktiken bewusst und sichtbar gemacht werden, die mit den Texten eng verbunden sind und davon zeugen, dass hinter einzelnen Praktiken nicht nur Autor, sondern eine Reihe von „unsichtbaren“ Spielern versteckt sind. Die Inszenierungspraktiken dienen dem Text, bringen ein Wettbewerb auf dem Literaturmarkt und machen das Ganze viel interessanter und spannender für das Lesepublikum. Somit gilt: achtet auf „Illusio“!

Quellen:

https://www.inhaltsangabe.de/autoren/berg/

http://ostschweizerinnen.ch/mit-dem-leben-davongekommen-autorin-sibylle-berg/

Jürgensen, Ch., Kaiser, G. (2011): Schriftstellerische Inszenierungspraktiken- Heuristische Typologie und Genese. In: Kaiser (Hrsg.). Universitätsverlag WINTER Heidelberg. S. 9-14.

Fotos:

https://www.epd-film.de/filmkritiken/wer-hat-angst-vor-sibylle-berg

https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/A1054208961


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