Die Studierenden der Germanistik aus dem post-sowjetischen Raum: Wer sind sie?

1. 2. 2024

Die Studierenden der Germanistik aus dem post-sowjetischen Raum: Wer sind sie?

Vorwort

Die Spannungen der letzten Jahre, die Corona-Pandemie, der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der Krieg zwischen Israel und Palästina, die Zunahme des Rechtsradikalismus unter europäischen Staaten: all diese Ereignisse haben das Leben der Menschen beeinflusst. Gegenwärtig ist die Stellung der ausländischen Studierenden, insbesondere aus Russland und der Ukraine, deren Ursprungsländer sich gegenseitig seit zwei Jahren kriegerisch bekämpfen, außergewöhnlicher denn je zuvor. Wie sie das Ganze erleben und welche Gefühle und Gedanken sie angesichts der geopolitischen Lage in sich tragen, ist die wichtigste Fragestellung dieser Reportage.

Im Rahmen des Pflichtfaches Projekt ist eine Idee entstanden, dass ich die aus post-sowjetischen Ländern[1] stammenden Studierenden der Germanistik interviewen könnte. Das sind beispielsweise Menschen aus Russland, Belarus[2], der Ukraine und der Republik Moldau. Da mich selbst die aktuelle geopolitische Lage stark belastet und ich selbst aus Russland komme, wollte ich es unbedingt probieren, die Studierenden anzusprechen, ja sie um ein Gespräch zu bitten.

Von Belang sind die persönlichen Fragen, warum etwa jemand Deutsch als Lehrfach ausgewählt hat und überhaupt nach Tschechien kam, wie das Leben und das Studium in Brünn verlaufen und wie sich die Situation in Tschechien im Laufe der Zeit geändert hat. Die Fragen, wie man allgemein die heutige unsichere Zeit trotz der politischen Spannungen durchlebt und wie die Politik das Leben der AusländerInnen beeinflusst, sind ebenfalls für diese Reportage wichtig. Die StudentInnen sagen auch, was ihnen am besten an dem Institut für Germanistik gefällt und was ihren Ansichten nach verbessert werden könnte. Darüber hinaus scheint es, dass die Anzahl der ausländischen Studierenden seit einigen Jahren höher ist als vorher, was mich auch veranlasste, ihre Meinungen zu erfragen.

Ich war sehr unsicher, wie diese Idee von den Studenten und Studentinnen wahrgenommen wird, weil das Thema des Krieges immer noch sehr polarisierend und eher intim und komplex ist, besonders für diese Gruppe von Menschen. Ich habe die Liste der Namen von Herrn Urválek bekommen und die Studierenden direkt und persönlich via IS angeschrieben. Ich habe mich auf Russisch vorgestellt, da ich niemanden vorher persönlich gekannt habe. Ich habe nicht verschwiegen, dass ich aus Russland bin und dass ich auch Fragen über den Krieg stellen werde. Zwar kann ich sagen, dass die Mehrheit der angeschriebenen Studierenden meine Nachricht ignoriert hat, was mir verständlich ist, und ein paar Menschen direkt abgesagt haben, wobei doch einige sehr fasziniert waren, so dass ich sie kontaktierte, woraus für sie die Gelegenheit resultierte, ihre eigenen Ansichten darzulegen. Wiederum bekam ich dadurch die Möglichkeit, meine Erfahrungen in Tschechien mit denen der Interviewten zu vergleichen.

Kennzeichnend ist, dass alle Studierenden eher darauf bestanden, mit mir auf Russisch die Gespräche zu führen und nicht auf Deutsch, um ihre Äußerungen klarer formulieren zu können. Ich war damit auch einverstanden und übersetzte jedes Gespräch im Nachhinein ins Deutsche. Die jeweilige Übersetzung wurde gleich von dem Befragten nochmals durchgelesen, faktisch und sprachlich korrigiert und dann in ihrer Endfassung bestätigt.

Die Fragen, die ich gestellt habe, waren für alle gleich, sodass es tatsächlich möglich ist, gewisse Parallelen aufgrund der gegebenen Antworten zu ziehen. Die Interviews bleiben völlig anonym. Ich bitte um Verständnis, aber die Namenlosigkeit verringert die Gefahr, dass jemand von den TeilnehmerInnen oder ich selbst als Verfasser dann irgendwelche Schwierigkeiten haben könnte wegen der Aussagen, die die Politik anbelangen.

Alle Gespräche fanden persönlich im November 2023 statt. Insgesamt hat es fünf Gespräche gegeben.

Denjenigen, die ihre Zustimmung gegeben haben, an einem Interview teilzunehmen, sei herzlich gedankt!

Die Gespräche

Wie lange lebst du schon in Tschechien und woher kommst du?

Studentin E aus Russland:

Ich bin 24 Jahre alt und komme aus Russland. Ich habe dieses Land zum ersten Mal 2019 kennengelernt. Und zwar erhielt ich an der Krasnodarer Uni das Stipendium und habe dank dem Erasmus-Programm acht Monate in Königgrätz gelebt und studiert. Unterdessen hat auch die Covid-Pandemie begonnen, ich konnte jedoch während dieser kurzen Zeit Tschechien ein bisschen bereisen und viele großartige Eindrücke sammeln. Als ich zurück nach Russland kam, haben wir uns dann in meiner Familie mit der Idee beschäftigt, dass ich mein ganzes Masterstudium im Ausland mache, was mir letztendlich tatsächlich gelungen ist. Zunächst dachten wir an Deutschland, dann sind wir aber irgendwie zur Tschechischen Republik gelangt. Nachdem ich das Bachelorstudium der deutschen Sprache in Krasnodar abgeschlossen hatte, fuhr ich mit meiner Freundin nach Tschechien. Wir hatten vorher zusammen Deutsch an der Uni gelernt und die Dokumente vorbereitet. Somit sind wir beide im September 2021 hierhergekommen.

Student B aus Russland:

Ich bin 27 Jahre alt und komme aus Russland. Ich bin vor 4 Jahren nach Brno gekommen. Ich habe die Tschechische Republik ausgewählt, da ich und meine Frau aus wirtschaftlichen Gründen in einem europäischen Land leben wollten. Ich bin verheiratet, deswegen mussten wir gemeinsam entscheiden, wo es hingeht. Tschechien war die optimale Wahl, denn es ist nicht teuer im Vergleich zu einigen anderen Ländern, die Ausbildungsmöglichkeiten sind für Ausländer hier breit und das Studium an einer Uni ist kostenfrei. Darüber hinaus ist Tschechisch als Fremdsprache für die Russischsprachigen nicht allzu schwer zu beherrschen. Am Anfang habe ich gehört, dass in Brno relativ wenige Russischsprachige leben, deswegen habe ich diese Stadt ausgewählt, damit ich und meine Ehefrau uns besser integrieren können. Es stellte sich aber heraus, dass diese Erwartung nicht korrekt war und dass auch hier auf Schritt und Tritt Russisch gesprochen wird.

Studentin C aus Belarus:

Ich komme aus Belarus, bin 25 Jahre alt und studiere seit September 2021 in Tschechien. Ich muss aber gleich betonen, dass meine Beziehung zu Europa und der deutschen Sprache immer eng gewesen ist, da ich bis zu meinem sechsten Lebensjahr teils in Dresden, teils in Hamburg lebte. Danach haben sich meine Eltern aber entschlossen, aus Deutschland zurück nach Belarus zu gehen. Rückblickend erscheint mir diese Entscheidung etwas seltsam. Daher bin ich im Moment in Tschechien und studiere Germanistik, weil ich wusste, dass ich unbedingt zurück nach Europa wollte. Ich war mir aber nicht sicher, wohin ich gehen sollte. Meine Mutter hat mir dann Tschechien angeboten, als ein Land, wo das Studium günstig ist.

Student A aus Moldau:

Ich komme aus der Republik Moldau, bin 20 Jahre alt und lebe seit September 2021 in Brno. Meine Familie und ich lebten eine Weile in Russland, deswegen habe ich zwei Staatsbürgerschaften: moldauisch und russisch.

Ich habe mich für Tschechien entschieden, weil ich hierin eine große Perspektive für mich sah, in einem europäischen Land zu studieren und zu leben. Zunächst dachte ich, dass ich nach Rumänien kommen sollte, dann haben aber meine Eltern mir empfohlen, eher Tschechien zu probieren, weil eine gute Bekannte meines Vaters in der Sprachschule EuroEducation[3] arbeitet. Diese Schule half mir bei der Beantragung meines ersten Visums und unterstützte mich bei meinen ersten Schritten in Tschechien. Letztendlich kam ich nach Brno, da die Sprachschule in dieser Stadt viele Kurse im Angebot hat.

Studentin D aus Russland:

Ich bin 23 Jahre alt, komme ursprünglich aus Krasnodar, Russland, und bin zum ersten Mal im September 2021 nach Tschechien gekommen. Dank meiner Freundin habe ich von dem Studium in Tschechien erfahren und wir haben uns dann gemeinsam entschlossen, nach Tschechien zwecks Studium zu fahren. Außerdem hatte es meine Freundin schon vorher mithilfe eines Erasmus-Programms geschafft, die Tschechische Republik zu besuchen und hier etwa ein Semester lang zu lernen. Eine Frau aus Krasnodar, die sich mit den Visa-Genehmigungen professionell befasst, hat uns geholfen, alle wichtigen Dokumente vorzubereiten.

Warum hast du die MUNI und Germanistik für das Studium ausgewählt?

Student B aus Russland:

Eigentlich habe ich das Studium an einer russischen Universität schon hinter mir. Dort habe ich die Translatologie studiert. Mit meinem nostrifizierten Diplom durfte ich schon ein Doktoratsstudium in Tschechien beginnen, aber ich wollte keineswegs tief in die Wissenschaft gehen. Ich habe mich anfangs entschlossen, mich in Brno an der VUT mit den technischen Übersetzungen zu beschäftigen, dann habe ich doch an der MUNI die Spezialität Allgemeine Sprachwissenschaft ausprobiert, und zwar mit dem Studium der estnischen Sprache kombiniert. Im Endeffekt bin ich aber danach zum Studium der Germanistik übergegangen, weil es mehr Perspektiven anbietet. Obgleich ich relativ spät mit dem Studium der deutschen Sprache anfing, wollte ich dieses Studium unbedingt fortsetzen, weil es eine Art Herausforderung für mich war. Mein Deutsch hat sich inzwischen sehr verbessert. Außerdem ist die Bildungsqualität an der Fakultät sehr gut und ich glaube, dass der ganze Lehrkörper am Institut der Germanistik hochqualifiziert ist.

Studentin E aus Russland:

Bereits während meines ersten Aufenthalts in Tschechien habe ich Brno besucht. Diese Stadt hat mir wirklich gut gefallen. Sie ist groß genug und gleichzeitig bequem. Hier herrscht eine freundliche Atmosphäre. Eigentlich hatte ich drei Möglichkeiten zur Auswahl, und zwar die Karlsuniversität in Prag, die Masarykuniversität in Brünn und die Jan-Evangelista-Purkyně-Universität in Aussig. Da ich mich in Prag nicht komfortabel genug fühlte und Aussig mir viel zu klein erschien, traf ich die Entscheidung, an der MUNI zu studieren. Übrigens sieht die Uni in Brno auch am modernsten aus. Außerdem war mein Diplom hier schnell nostrifiziert worden.

Student A aus Moldau:

Ich wollte anfangs unbedingt das Fach Internationale Beziehungen an einer tschechischen Uni studieren. Ich habe aber nach einer Weile festgestellt, dass dies nicht so einfach zu lernen sein kann und viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Ich überlegte ein bisschen, wo genau ich studieren wollte. Besonders sprachen mich Prag und Brno an, weil diese Städte groß sind. Aber auch Budweis oder Zlín schienen mir interessant zu sein. Da meine Finanzsituation sehr instabil ist und meine Eltern nicht imstande sind, mich ständig und gut genug finanziell zu unterstützen, bin ich von der Arbeit abhängig. Ich musste mich also endgültig für ein Fach entscheiden, das mir erlauben würde, sowohl zu arbeiten als auch zu studieren. Meine Auswahl der Germanistik kann dadurch begründet werden, dass meine Tschechischlehrerin, die in Deutschland lebt, mir sehr empfohlen hat, Deutsch zu unterrichten, da ich diese Sprache schon vorher gut beherrschte. Ich habe damit angefangen, Deutsch an einer Brünner Sprachschule zu lehren, was mich motivierte, mich auch an der Uni Germanistik zu widmen. Jetzt arbeite ich immer noch online als Deutsch- und Tschechischlehrer. Ich unterrichte Deutsch für Anfänger und Tschechisch für ukrainische Geflüchtete. Als ich die Ergebnisse des TSP-Tests, den alle Studierenden absolvieren sollten, und meinen Namen in der Liste der angenommenen Studenten sah, freute ich mich sehr.

Studentin D aus Russland:

Ich habe Englisch in der Schule gelernt, wollte aber nie das Leben mit fremden Sprachen verbinden. So ist es aber ironischerweise geschehen, dass ich an der Uni eine fremde Sprache als Fach ausgewählt habe. Anfangs wollte ich Englisch weiterstudieren, die englische Gruppe an der Krasnodarer Uni war aber schon voll, deshalb wurde mir und meiner Freundin Deutsch angeboten. Ich habe mich im Laufe von drei Jahren intensiv mit der deutschen Sprache, Literatur, Grammatik und Geschichte befasst. Somit habe ich mein Bachelorstudium des Deutschen erfolgreich abgeschlossen und wollte gerne das weitere Studium irgendwo in Europa fortsetzen. Als mir klar wurde, dass ich nach Tschechien gelangen konnte, dachte ich mir, dass ich eher in Prag leben und an einer Prager Uni studieren wollte. Ich habe aber festgestellt, dass Brno günstiger ist und das Studium auch hier sehr gut verlaufen kann.

Studentin C aus Belarus:

Bevor ich nach Brno ankam, hatte ich schon ein Halbjahr Tschechisch gelernt und mich für das Germanistikstudium an der MUNI beworben. Ich wollte mich mit der deutschen Sprache weiter befassen, weil ich sie, im Rückblick auf meinen Lebenslauf, seit meiner Kindheit spreche und, nicht zuletzt, weil es keine Aufnahmeprüfung gegeben hat.

Macht dir das Studium der Germanistik Spaß?

Studentin D aus Russland:

Ja, bestimmt. Ich muss schon aber sagen, dass das Studium hier im Vergleich zu meiner russischen Universität relativ leicht verläuft. An der Krasnodarer Uni wird ein Student sozusagen sehr fest im Griff gehalten, hier ist es aber sehr locker, was den Umgang mit den Studierenden angeht. Und ich mag es und habe mich daran schnell gewöhnt. Ich bin froh, dass ich genug Zeit für die Arbeit habe und dass ich das Studium und die freie Zeit sehr gut kombinieren kann. Man kann dreimal und im Notfall sogar noch öfter ein und dasselbe Fach wiederholen, was früher für mich nicht wirklich vorstellbar war.

Ich glaube ebenfalls, dass die sprachwissenschaftlichen Fächer besser unterrichtet werden als die literarischen. Ich studierte die germanistische Literatur schon vor meinem Masterstudium in Brno sehr aktiv und ich bin derzeit in der Lage, zu vergleichen. In Brno werden sehr interessant die Hintergründe der Bücherentstehung und die Lebensläufe der AutorInnen besprochen, wobei hier leider zu wenig über die Inhalte der Bücher, die an sich selbst sehr spannend sind, diskutiert wird und es wird generell zu wenig gelesen. Außerdem erhält man sehr wenig Materialen oder Hand-outs zu dem behandelten Stoff, sodass man danach gar nicht weiß, wie man das Wissen besser systematisieren kann, und man sich im Endeffekt kaum an ein Werk gut erinnert.

Ich finde auch, dass einige Fachabschlüsse nicht gut genug durchdacht oder konzipiert worden sind, weil sie letztendlich kaum eine Wirkung auf einen Studierenden haben, beispielsweise ein Protokoll. Meiner Ansicht nach ist es das Schlimmste, womit man ein literarisches oder überhaupt ein Fach abschließen kann.

Ich weiß im Moment gar nicht, was ich beruflich machen werde oder will. Ich arbeitete aber schon eine Weile in der Sprachschule. Und jetzt unterrichte ich Deutsch privat und es macht mir Spaß.

Studentin C aus Belarus:

Ich studiere gerne. Ich kann jedoch nicht behaupten, dass die Ansprüche am Germanistik-Institut viel zu groß sind. Ich bin der Meinung, dass die sprachwissenschaftlichen Fächer besser unterrichtet werden als andere germanistische Fächer. Im Allgemeinen ist die Studienbelastung eher gering und viele Studierende machen den Eindruck, dass ihnen eben das Studium der Germanistik keinen echten Spaß macht. Mir scheint, dass es an der Konkurrenzfähigkeit der StudentInnen mangelt. Ich muss an dieser Stelle auch ansprechen, dass viele ausländische Studierende meines Erachtens viel motivierter sind, gut zu lernen, da es ihr Ziel war, nach Tschechien zu kommen und hier zu studieren. Außerdem hängt ein aktuelles Visum von den Ergebnissen des Studiums direkt ab. Ich wünschte mir also, dass die Studenten und Studentinnen, die das Studium der Germanistik ausgewählt haben, sich besser in der deutschen Sprache und Kultur auskennen würden. Manchmal tut es meinen Ohren weh, wenn ich zuhöre, wie einige meiner KommilitonInnen auf Deutsch reagieren. Es betrifft keinesfalls alle Germanistik-Studierenden, aber das Problem der Passivität und der mangelnden Kompetenz bei einigen Menschen ist doch ganz offenbar.

Was die Zukunftspläne anbelangt, weiß ich selbst noch nicht, wie und wohin es weiterlaufen soll. Es mag durchaus sein, dass ich nach Deutschland gehen werde. Auf jeden Fall würde ich mich darüber freuen. Schon jetzt arbeite ich mit der deutschen Sprache, indem ich bisweilen Deutsch unterrichte und Übersetzungen mache.

Studentin E aus Russland:

Ja, weil ich mag, was ich studiere, obschon es nicht einfach war, sich auf eine neue Universität umzustellen. Ich schätze am meisten die relativ freie Auswahl der Fächer, die man studieren kann, und die Flexibilität, die man während des Studiums bekommt. Die Belastung ist meines Erachtens nicht groß.

Ich kann mir vorstellen, dass etliches an der Uni besser funktionieren könnte. Ich würde es zum Beispiel sehr begrüßen, falls wir uns als Studierende eines spezifischen Lehrfaches, in meinem Fall ist es Literatur, intensiver und tiefer hiermit befassen würden. Mir fehlt die Fokussierung auf die Bücher und Diskussionen, ich benötige mehr Konzentration auf die Schwerpunkte eines ausgewählten Lehrfaches.

Grundsätzlich war es auch am Anfang sehr schwer, sich mit dem IS auszukennen. Einer meiner Freunde studiert ein kostenpflichtiges Programm auf Englisch an der MUNI und er hat die Informationen, wie das System funktioniert und was man klicken soll, wie viele Kredite man erhalten soll, welche Fächer obligatorisch sind und welche nicht, usw., explizit erklärt bekommen. Das war in meinem Fall nicht so, was mir dann mehrere Schwierigkeiten im ersten Semester bereitete.

Was meine Zukunft als Germanistin betrifft, weiß ich sicher, dass ich mich mit der deutschen Sprache weiter beruflich beschäftigen möchte. Wahrscheinlich werde ich Deutsch privat lehren. Derzeit arbeite ich schon bei einem Unternehmen, wo ich meine Deutschkenntnisse gebrauche.

Student B aus Russland:

Wie schon erwähnt, sind die Lehrer und Lehrerinnen wunderbar. Mir gefällt auch das Studium selbst. Hoffentlich werde ich mit den Kenntnissen der deutschen Sprache auch meinen künftigen Job ausüben können. Ich bin mir nicht sicher, ob ich in Tschechien bleibe. Ich überlege, ob ich dann nicht zurück nach Russland gehen soll. Die Zeit wird es zeigen.

Ich muss aber sagen, dass das Studium in Russland mir viel schwerer erschien als in Tschechien. Darüber hinaus glaube ich, dass die Studierenden, die das Studium der Germanistik auswählen, entweder nicht gut genug motiviert sind, um aktiv die Sprache und Kultur zu erlernen, oder sie sich einfach ungern mit dem Studium befassen. Ich will natürlich nicht pauschalisieren, aber im Großen und Ganzen sind die StudentInnen einfach inaktiv während der Seminare und Lektionen, die Mehrheit der Menschen interagiert kaum mit einem Pädagogen und sitzt schweigend in der Klasse. Außerdem sprechen mehrere Studierende Deutsch wirklich schlecht, worüber ich immer wieder sehr staune. Ich merke, dass einige Leute sich im Laufe des Studiums gar nicht zu Wort melden. Mir ist aber klar, dass die Tschechen oder Slowaken nichts zu verlieren haben, falls ihr Studium schiefgeht, aber warum dann überhaupt studieren, wenn man kaum Interesse an dem Fach zeigt? In Russland wäre sowas an einer Uni eine große Schande, wenn die Menschen einfach schweigsam zuhören würden, so ist zumindest meine Erfahrung. Ich denke also, die Lehrkräfte sind stark und professionell, die Studierenden der Germanistik jedoch sind schwach und nicht zielstrebig, sodass kaum eine Konkurrenz unter den Studenten und Studentinnen entsteht, was das Studium weniger attraktiv macht. Wahrscheinlich wäre irgendeine Art von Aufnahmeprüfung für diejenigen, die sich für das Germanistikstudium bewerben, doch eine gute Option.

Student A aus Moldau

Ich interessiere mich tatsächlich sehr für die deutsche Sprache, Kultur, Politik und Geschichte. Ich habe Deutschland und Österreich auch schon besucht. Weil ich definitiv gut motiviert bin, macht es für mich das Studium einfacher. Es gibt aber einige Fächer, die mich weniger ansprechen, und es fällt mir manchmal nicht leicht, sie zu lernen. Dazu gehört beispielsweise Literatur. Irgendwie weiß ich nicht, wieso, aber ich kann mit diesem Fach nichts anfangen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass auch Geschichte etwas spannender unterrichtet werden könnte. Mir gefallen aber sprachwissenschaftliche Fächer (Grammatik) sehr und ich finde, dass auch Politik sehr gut unterrichtet wird. Ich fühle, dass ich nach den Seminaren und Vorlesungen von diesen Fächern etwas mit nach Hause nehme.

Ob ich in der Zukunft als Germanist tätig sein will, ist zweifelhaft. Ich will eher das Wissen, über das ich verfüge, nebenbei benutzen und andere Arbeiten statt Übersetzer oder Lehrer ausüben.

Fühlst du dich sicher an der Uni als ausländischer Student / ausländische Studentin? [4]

Studentin D aus Russland:

Ja. Es hat sich zum Glück keine Situation ereignet, als dass ich mich nicht sicher an der Uni hätte fühlen können. Alle sind sehr freundlich und verhalten sich mir gegenüber immer gut. Ich erinnere mich, dass zum Beispiel Frau Stanovská, Frau Zündorf und Frau Malá behutsam die polarisierenden Themen vermieden haben und ich spürte dadurch eine gewisse Unterstützung.

Student A aus Moldau:

Generell fühle ich mich hier sehr sicher. Ich hatte die Erfahrung des Studiums an einer Uni in Russland in Stawropol, wo unterschiedliche Nationalitäten stark vermischt wurden. Es fiel mir schwer, zum Beispiel den Kontakt zu den Studierenden aus dem Kaukasus zu finden. Da es manchmal Missverständnisse und interpersönliche Probleme gab, war die Atmosphäre in einer multinationalen Gruppe sehr angespannt. In Brno ist es umgekehrt, ich fühle mich entspannt und sicher. Ich fühle, dass ich sogar gewissermaßen als Tscheche behandelt werde, was mich sehr freut.

Was die Kommunikation mit den KommilitonInnen angeht, läuft es wunderbar. Ich spreche gut Tschechisch und es ist kein Problem, den Kontakt zu den anderen zu finden. Positiv überrascht hat mich auch der gute Umgang der Lehrer mit den ausländischen Studenten. Ich sehe und spüre es, wie die Lehrkräfte sich um mich kümmern, weil ich kein Tschechisch-Muttersprachler bin. Bei einer Stunde können zum Beispiel Frau Trombiková oder Frau Zündorf fragen, ob mir alles klar ist. Sowas finde ich sehr nett. Aber auch alle andere PädagogInnen gehen sehr höflich und aufmerksam mit den Studierenden um, was ich zu schätzen weiß. Ich habe also äußerst positive Erfahrungen mit der Behandlung von mir als einen ausländischen Studenten am Institut für Germanistik.

Darüber hinaus wandte ich mich im Laufe des ersten Semesters an den Psychologen an der Masarykuniversität. Ich wurde durch seine Konsultationen sehr unterstützt und sie halfen mir, meine Probleme zu lösen, weil ich mich damals innerlich misslich fühlte.

Studentin C aus Belarus:

Ja, bestimmt! An der Uni habe ich niemals irgendeine Art von schlechter Behandlung erlebt. Eher umgekehrt verspüre ich Unterstützung und Hilfe. Nur einmal war ich etwas verwirrt, als sich in der ersten Schwedisch-Stunde alle Kursteilnehmerinnen vorstellen sollten und ich sagte, dass ich aus Belarus komme. Dann erwiderte eine tschechische Studentin ganz überrascht und brüllte: „Wa-a-a-s???“ [5]. Allerdings sind die Lehrer und Lehrerinnen immer nett und freundlich. Ich kann zum Beispiel nur Gutes über Frau Zündorf oder Herrn Urválek sagen. Man sieht, dass die AusländerInnen grundsätzlich mit Achtsamkeit behandelt werden.

Studentin E aus Russland:

Ich fühle mich sicher an der Uni. Alle sind sehr offen und entgegenkommend. Hier werden im Großen und Ganzen die politischen Themen gemieden, denn es gibt einige Studierenden sowohl aus Russland als auch aus der Ukraine.

Student B aus Russland:

Das stimmt, ich fühle mich sicher und geschützt. Ich habe an der Uni nichts Negatives erlebt. Ich glaube, dass die gebildeten Menschen auch nicht wirklich ausländische StudentInnen beleidigen oder herabwürdigen würden. Des Weiteren habe ich nur positive Erfahrungen, zum Beispiel mit Herrn Urválek, Herrn Trna oder Frau Zündorf, die ihre Unterstützung zeigen und mit Rücksicht den ausländischen Studierenden entgegenkommen.

Bist du je der Diskriminierung an der Uni oder allgemein in Tschechien begegnet?

Studentin E aus Russland:

In Tschechien bin ich schon einige Male der Diskriminierung begegnet. Ich spüre zum Beispiel eine sprachliche Diskriminierung, indem ich seltsam von den Leuten angeguckt werde, wenn ich kein akzentfreies Tschechisch rede. Das Schlimmste, was mir einmal passiert ist, ist mein Besuch bei einem Zahnarzt. Eines Tages tat mein Zahn so sehr weh, dass ich dringend in eine Klinik musste. Ich habe mehrere Kliniken angerufen und überall habe ich nur Termine zur Auswahl bekommen, die weit in der Zukunft lagen. Lediglich bei einer russischen Prager Privatklinik konnte ich die benötigte Hilfe erhalten, wofür ich natürlich dann bezahlt habe. Obwohl wir alle genauso wie die tschechischen Staatsbürger versichert sind, ist es oftmals schwierig, einen guten Hausarzt in der Tschechischen Republik zu finden, insbesondere für einen Ausländer. Die medizinischen Leistungen sind schwer zugänglich und man weiß nie, wie ein Arzt mich dann als Ausländerin behandeln wird.

Ich würde jedoch behaupten, dass das mögliche negative Verhältnis der Tschechen zu Ausländern eher aufgrund der Xenophobie und nicht explizit der Russophobie erklärt werden kann, was aber im Endeffekt sowieso nicht gut ist.

Student A aus Moldau:

Zum Glück fühlte ich mich hier nie wirklich diskriminiert. Ich habe jedoch schon mal erlebt, dass einige ältere Männer ruští parchanti[6] mir gegenüber gesagt haben, während ich auf der Straße mit jemandem Russisch gesprochen habe. Das sind aber nur Einzelfälle gewesen. Ich glaube, man sollte niemandem und unter keinen Umständen vorschreiben, welche Sprache man spricht. Jede Sprache soll in erster Linie als Kommunikationsmittel betrachtet werden. Ich empfinde diese sprachliche Situation sehr intensiv, weil ich sowohl russisches als auch ukrainisches Blut habe. Meine Verwandten und Familie lebten in Moldau. Ich spreche also viel Russisch, aber auch Ukrainisch und ein bisschen Rumänisch. Und ich kann mich immer noch gut daran erinnern, wie seit einiger Zeit alle Menschen, die Russisch statt Rumänisch in der Republik Moldau sprachen, etwas schlechter behandelt wurden, was meine Familie betroffen hat. Ich kann aber durchaus behaupten, dass ich keiner Diskriminierung in der Tschechischen Republik begegnet bin. Umgekehrt fühle ich mich eher gut unterstützt.

Student B aus Russland:

Selbstverständlich. An der Uni zum Glück nie, aber in Tschechien allgemein schon mehrmals. Die Tschechen bezeichnen die Russischsprachigen oft als Osteuropäer und als etwas wild. Eine Wohnung in Brno zu finden, wenn du ein Russe bist, ist eine große Herausforderung. Mehrmals wurde ich persönlich gemeinsam mit meiner Frau als potenzieller Mieter abgelehnt, nur weil ich aus Russland komme. Ich fühle mich zwar gut integriert und spreche Tschechisch, aber irgendwie läuft es ab und zu schlecht. Wenn man auf Russisch auf der Straße kommuniziert, kann man verbal oder gar physisch angegriffen werden. Meine Ehefrau wurde mal von einer alten Frau in der Brünner Straßenbahn beschimpft, weil die Dame dachte, meine Frau sei aus der Ukraine. Ich persönlich wurde beim Einkauf in einem Trafik-Kiosk beleidigt, indem der Verkäufer mir sagte: „Geh zurück nach Hause!“. Wo aber mein Haus ist, interessierte ihn gar nicht.

Studentin C aus Belarus:

Wie bereits angesprochen, fühlte ich mich an der Uni nie diskriminiert. Allgemein kann man aber als Ausländer in Tschechien der Diskriminierung öfter begegnen. Als ich einmal meine Bankkarte verloren habe, besuchte ich eine Polizeiabteilung, um darüber zu informieren. Es wurde dort jedoch explizit darauf hingewiesen, dass ich aus dem Ausland komme, und zwar mit einem Hauch von Demütigung, als ob ich als Ausländerin verantwortungsloser wäre als tschechische Staatsangehörige. Sowas passierte noch vor dem Krieg.

Studentin D aus Russland:

Ich erinnere mich momentan an kein negatives Ereignis, das mich betreffen könnte. Mit meinen ukrainischen Kommilitonen oder Bekannten versuchen wir, die politischen oder polarisierenden Themen zu meiden. Ich weiß aber, dass einige meiner Freunde diskriminiert wurden und Probleme hatten. Einer der Freunde wurde zum Beispiel von einem Therapeuten in Budweis abgelehnt mit den Worten posraný rusák[7]. Er wollte den Gesundheitsausweis erhalten und wurde danach gezwungen, einen anderen Arzt aufzusuchen.

Wie hat sich dein Leben nach dem Kriegsbeginn zwischen Russland und der Ukraine geändert?

Student B aus Russland:

Ich glaube, die Gesellschaft in Tschechien sowie die russischsprachige Community sind viel polarisierter geworden. Es ist überall zu sehen, dass die Gesellschaft sich sozusagen gespalten hat. Es gibt derzeit in Tschechien sowohl eine große Russophobie als auch Ukrainophobie. Mir scheint, dass die tschechische Bevölkerung möglicherweise in der Abschiebung oder zumindest Demütigung der AusländerInnen die Lösung aller Probleme sieht. Auch die Diskriminierungsfälle, die ich vorher angesprochen habe, beziehen sich in erster Linie auf die Zeit nach dem Kriegsbeginn. Zuvor hatte ich mich doch etwas sicherer in der Tschechischen Republik gefühlt.

Studentin E aus Russland:

Nach dem Kriegsausbruch habe ich das Gefühl, dass die Leute viel aggressiver geworden sind. Ich glaube, es gibt derzeit auch viel Heuchelei, was die aktuelle Situation anbelangt. Den Russen werden die Beantragungen neuer Visa viel öfter verweigert, die Leute werden nur aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft verurteilt, selbst wenn sie direkt ihre negative Position zum Angriffskrieg ausgedrückt haben, und generell ist keine große Unterstützung der russischen oder belarussischen StaatsbürgerInnen vorhanden, die in Tschechien arbeiten, studieren und leben und vielleicht in Not geraten sind. Sehr oft betrifft auch die Unzufriedenheit der tschechischen Regierung mit der aktuellen geopolitischen Lage die Studierenden, die aus Russland oder Belarus nach Tschechien gekommen sind, als ob diese Gruppe der Menschen die größte Gefahr für dieses Land darstellen würde. Inzwischen werden aber weiterhin Geschäfte mit Russland gemacht, die europäischen Waren werden in Russland und die russischen Waren in Europa verkauft. Gas und Erdöl fließen immer noch in die europäischen Staaten, wenn auch in geringerem Maße. Das alles enttäuscht mich sehr, weil sich am Ende herausstellt, dass diese Situationen die Narrative widerspiegeln, welche der russischen Propaganda sehr gut dienen. In diesem Sinne scheint mir Tschechien heutzutage weniger offen und demokratisch zu sein.

Studentin C aus Belarus:

In erster Linie beschädigt der Krieg die persönlichen Beziehungen. Ich kann beispielsweise mit Menschen aus der Ukraine kaum Kontakt aufnehmen. Einmal sagte mir meine ukrainische Bekannte: „Wärest du aus Russland, würde ich mit dir gar nicht kommunizieren“. Ich verurteile den Krieg, umso weniger gefällt mir dieses überhebliche Verhalten mir gegenüber, weil häufig die Ukrainer derart denken, als ob alle Menschen um sie herum ihnen etwas schuldig wären, und weil sie bereit sind, die Menschen nur anhand ihrer Staatsbürgerschaft zu verurteilen.

Ansonsten entstehen natürlich auch andere Komplikationen, die das Leben seit dem Kriegsbeginn belasten. Zum Beispiel ist es heutzutage gang und gäbe, dass in unterschiedlichen Banken Tschechiens den belarussischen und russischen Bürgern die Konten geschlossen werden oder die Karten blockiert werden, auch wenn es dafür keine objektiven Gründe gibt. Bedauerlicherweise ist es beinahe unmöglich, so einen Beschluss einer Bank rückgängig zu machen oder bei einer Klageerhebung etwas gewinnen zu können. Man kriegt sein Konto einfach geschlossen, meistens ohne vorherige Erklärung oder gar Benachrichtigung. Ich muss seitdem auch um mein Konto bangen. Es wurde einmal sogar verlangt, dass ich einer Bank nicht nur persönliche Informationen über mich selbst mitteile, sondern auch über meine Verwandten aus Belarus, die mich finanziell unterstützen. So ein Vorgehen geht aber meines Erachtens über Grenzen.

Student A aus Moldau:

Im Februar 2022 studierte ich Tschechisch in den Kursen und wusste noch nicht, wie ich mein Leben in Tschechien weiterentwickeln soll. Ich habe sogar befürchtet, dass ich abgeschoben werden könnte. Während der Vorbereitung für die mündliche Prüfung herrschte in der Klasse eine gewisse negative Atmosphäre, weil wir dann beispielsweise über das Thema Medien reden sollten. Natürlich mussten die Studierenden auch darauf eingehen, wie die Medien in ihren Heimatländern funktionieren. Man konnte politische Themen nicht einfach vermeiden, obwohl es tatsächlich von den Studierenden gewünscht wurde. Es gab also Konflikte und gespannte Situationen zwischen russischen und ukrainischen StudentInnen. Es war schwierig, über einige Themen miteinander zu sprechen.

Im Allgemeinen spürt man die Spannung, die es seit dem Krieg gibt, immer noch. Als ich meine Freundin, die aus Kasachstan kommt, vor einigen Monaten in Prag besuchte, kam unerwartet eine Gruppe von ukrainischen jungen Leuten zu uns, die uns vorwarfen, dass wir auf Russisch kommunizierten. Wie groß war ihre Überraschung, als ich auf Ukrainisch erwiderte, weil ich auch dieser Sprache fähig bin. Bei solchen Situationen fühlt man sich natürlich in Gefahr. Insbesondere nach allen Konflikten in Tschechien zwischen Ukrainern und Roma[8].

Im Großen und Ganzen kann ich aber sagen, dass in Tschechien und für die Tschechen selbst es wahrscheinlich nicht so wichtig ist, woher du kommst, sondern wie du als Mensch bist. Wenn du respektvoll mit anderen umgehst, tschechisch sprichst und keine Probleme verursachst, dann reicht es schon, um sicher und relativ sorglos in Tschechien zu leben.

Studentin D aus Russland:

Bei einer Bank hatte ich Schwierigkeiten mit meinem Konto, weil ich russische Staatsbürgerin bin. Die Sanktionen haben diese Situation mit Bankoperationen sehr negativ beeinflusst, obwohl es immer noch glücklicherweise unterschiedliche Banken gibt, die die russische oder belarussische Kundschaft bedienen. Früher war es natürlich gar kein Problem. Ansonsten kann ich sagen, dass heutzutage das, was mir das Leben am meisten erschwert, die generell kümmerliche politische Lage ist. Grundsätzlich habe ich viel Unterstützung und fühle keine Verurteilung mir gegenüber. Allerdings kann man im Moment nicht einfach der Politik entfliehen und mit möglichen Konsequenzen muss immer gerechnet werden.

Alles in allem, was kannst du über das Leben in Tschechien sagen?

Student A aus Moldau:

Ich war begeistert, dass die Menschen hier echt höflich sind, obschon es natürlich auch Ausnahmen gibt. Wenn ich jedoch bei einer Behörde etwas anfragen oder beim Innenministerium ein Visum abholen will, fühle ich, dass ich gut behandelt werde. In Moldau oder Russland ist es oftmals so, dass die Beamten immer nervös sind und alle Menschen als untergeordnet ansehen. Ich fühle mich in Tschechien sehr entspannt und frei. Ich kann sagen, was ich meine, kann reisen, wohin ich will. Die Menschen können mir gegebenenfalls helfen und ich spüre auch große soziale Unterstützung hier. Ob ich hier nach dem Studium bleiben werde, ist fraglich. Ich habe eher vor, nach Deutschland zu gehen. Aber es ist noch alles sehr unsicher und Tschechien wäre für das künftige Leben auch eine sehr gute Wahl.

Studentin D aus Russland:

Generell gesehen habe ich nicht das Gefühl der vollen Integration und ich fühle mich nicht wie Zuhause in Tschechien. Ich habe ebenfalls keine tschechischen Freunde. Allerdings sind die Leute in Tschechien allgemein sehr freundlich und nett. Ich kann sagen, dass Tschechien wahrscheinlich doch nicht mein Land ist, weil es mir scheint, dass ich hier nie völlig hingehören werde. Es hat mich aber viel Mühe gekostet, um hier alles, was ich inzwischen erreicht habe, erledigt zu haben, deswegen schätze ich die Erfahrungen, die ich hier gesammelt habe. Bedauerlicherweise werde ich bald Tschechien wegen einiger Familienangelegenheiten verlassen müssen und zurück nach Russland gehen.

Student B aus Russland:

Man merkt schon, dass Tschechien generell ein ruhiges und sicheres Land ist. Die Menschen scheinen freundlich zu sein. Einmal habe ich meinen Beutel verloren, der wurde mir aber nach einer Weile zurückgebracht, und es war alles noch drin. In Russland wäre das Geld höchstwahrscheinlich schon längst gestohlen worden. Ich denke jedoch, dass die Tschechen schwer zu befreunden sind. Sie bleiben lange Zeit verschlossen und halten die Distanz, was in Russland nur selten der Fall ist. Ich mag die tschechische Kultur und Sprache ganz gerne. Allerdings schmeckt mir die tschechische Küche gar nicht. Ab und zu finde ich, dass die Mentalitäten zwischen Tschechen und Russen doch unterschiedlich genug sind, sodass manchmal Missverständnisse entstehen. Mir fehlen in Tschechien die Dienstleistungen, an die ich mich in meiner russischen Heimatstadt gewöhnt habe. Es gibt wenige Kinosäle in Brno, die Taxi- oder Barbershop-Dienstleistungen sind oftmals überteuert, die Warenlieferungen bei Online-Bestellungen erfolgen nicht immer zeitgerecht oder oft mit Komplikationen. Mir imponiert aber die slawische Kultur Tschechiens und ich kann durchaus vermuten, dass ich mich hier unter Umständen wie zuhause fühlen könnte.

Studentin C aus Belarus:

Obgleich ich in den schwierigen Covid-Zeiten nach Tschechien gekommen bin, ist es mir doch gelungen, hier immer noch zu bleiben. Das Land erscheint mir aber etwas klein und eng, sodass ich mich hier ab und zu sehr gelangweilt fühle. Es hat auch nicht wirklich geklappt, mich mit Tschechen anzufreunden. Ein halbes Jahr war meine Mitbewohnerin eine Polin. Mit der habe ich mich zum Beispiel sofort gut verstanden. Vielleicht spielt dabei die gemeinsame Geschichte zwischen Belarus und Polen auch eine Rolle. Aus meiner Erfahrung sind also Polen viel freundlicher und leichter zu befreunden als Tschechen, die umgekehrt etwas verschlossener sind. Das Leben läuft grundsätzlich sehr gut hier, aber ich habe trotzdem kein Gefühl, dass Tschechien mein Daheim ist oder werden könnte.

Studentin E aus Russland:

Ich sehe natürlich einen großen Unterschied zwischen dem Tschechien aus dem Jahre 2019, als ich zuerst hierherkam, und dem heutigen Tschechien. Man spürt natürlich gleich die Konsequenzen der Krisen der letzten Jahre, als der Corona-Pandemie gleich der Krieg folgte. Heutzutage ist das Leben hier viel teurer, die breite Auswahl der Ermäßigungen für die Studierenden ist teilweise abgeschafft oder verringert worden. Trotzdem bin ich froh, dass die Fahrkarten immer noch billiger sind und man dank dem ISIC doch einige Rabatte erhält.

Ich fühle mich in Tschechien nicht fremd und kann sagen, dass ich integriert bin. Ich spreche regelmäßig Tschechisch und das Kollektiv, wo ich arbeite, ist auch sehr freundlich und wohlgesinnt. Wenn ich nach Russland komme, dann bezeichne ich Brünn als mein Zuhause, da ich hier 90 Prozent der Zeit verbringe. Ich habe momentan keine echten tschechischen Freundinnen, eher nur Bekannte. Die Tschechen sind etwas verschlossen, aber falls du zu ihnen den Weg findest, dann empfangen sie dich herzlichst. Grundsätzlich bereue ich meine Wahl keinesfalls, nach Tschechien zwecks Studium gekommen zu sein. Ich liebe die MUNI und Brünn!

Schlussfolgerungen

Ich würde gerne abschließend noch ein paar Gedanken ausdrücken. Bemerkenswert ist, dass kein ukrainischer Student auf meinen Interviewvorschlag positiv reagiert hat. Es ist wirklich schade, weil es genug Studenten und Studentinnen aus der Ukraine gibt, besonders nach dem Kriegsausbruch, deren Meinung und Perspektive eine große Rolle spielen und aktueller denn je sind. Trotzdem durfte ich keinen zwingen und wollte niemanden überreden, doch mit mir darüber zu sprechen, weil ich respektiere, dass es in der Tat für viele ein schwieriges und unangenehmes Thema ist. Leider ist es auch nicht möglich, sich ein vollständiges Bild über das Leben der Studierenden aus dem post-sowjetischen Raum zu machen, ohne dabei die Ansichten und Erfahrungen der ukrainischen Studenten zu berücksichtigen. Drei Länder werden jedoch repräsentiert: Russland, Belarus und die Republik Moldau.

An dieser Stelle soll auch gesagt werden, dass viele Europäer gar nicht zwischen Russen, Belarussen, Ukrainern, Moldauern und anderen (meist) russischsprachigen Menschen unterscheiden können. Ich habe es selbst noch vor etwa vier Jahren erlebt, als die Zeiten weniger gespannt waren, dass die Nationalitäten der AusländerInnen aus den post-sowjetischen Ländern häufig falsch von den Tschechen bezeichnet und wahrgenommen wurden. Heute ist es immer noch gang und gäbe, und zwar nicht nur in Tschechien. Allerdings ist nach dem Kriegsbeginn zwischen Russland und der Ukraine und auch nach den Protesten in Belarus gegen das Lukaschenka-Regime im August 2020 allmählich der sozial-politische Diskurs entstanden, in dem zumindest einige ehemalige Sowjetrepubliken klarer und öfter unterschieden und als selbständige Länder wahrgenommen werden. Es wäre auch meiner Meinung nach richtiger, diese Länder, Kulturen und Völker ungeachtet der gemeinsamen Vergangenheit als verschiedene Einheiten zu betrachten.

Allgemein kann man behaupten, dass die Diskriminierung in Tschechien vorhanden ist. Wichtig ist zu betonen, dass es sich bei einigen Fällen um reine Ausländerfeindlichkeit, bzw. Xenophobie, handelt, andererseits könnte es aber auch politisch-bedingte Fälle von Russophobie geben. Interessant ist, dass Russophobie in diesem Sinne auch bedeuten kann, dass nur anhand der Verwendung der russischen Sprache eine negative Reaktion folgt. Man braucht also nicht unbedingt aus Russland zu stammen, es reicht nur, russisch zu sprechen, was auch der Fall des Studenten aus Moldau gut darstellt. Eine Zuspitzung der Situation kann geschehen, falls ein Tscheche ausländerfeindlich eingestellt ist und gar nicht unterscheidet, welches Ursprungsland ein angeblicher “Russischsprecher” hat. Wie auch die Ehefrau des russischen Studenten verbal angegriffen wurde, nur weil sie russisch sprach, dass sie aus der Ukraine sei, auch wenn sie mit der Ukraine gar nichts zu tun hat. Russisch zu reden kann also Unterschiedliches bedeuten und von den Menschen ganz verschieden interpretiert werden. Welche Wertung diese Interpretation hat und was sie für den Russischsprecher bedeutet, ist schwer vorhersehbar. Daraus kann abgeleitet werden, dass aktuell Russophobie und Ukrainophobie eigentlich Hand in Hand gehen und miteinander eng zusammenhängen, weil viele Ukrainer oft Russisch sprechen oder auch weil eben russisch und ukrainisch verwechselt werden können.

Peinlich ist es auch, wenn du ein Russe bist und den Angriffskrieg oder, wie es in Russland heißt, die spezielle militärische Operation, nicht unterstützt und einige Tschechen dir doch erzählen, wie richtig Putin handelt und wie großartig die russische Politik ist.

Ich bin wirklich froh, dass niemand von den Befragten je an der Uni diskriminiert worden ist. Ich selbst kann es auch erhärten. Deswegen möchte ich im Namen von allen Studierenden nochmals den Lehrkräften an der Philosophischen Fakultät und am Institut für Germanistik unser großes Dankeschön für die ständige Unterstützung aussprechen. Ich hoffe übrigens, dass die Anmerkungen bezüglich der Art und Weise, was besser und was schlechter an der Uni funktioniert, auch als konstruktive Kritik zur Kenntnis genommen werden.

Es sei anschließend erwähnt, dass Tschechien, das zwar sehr beliebt und populär unter russischsprachigen Menschen ist, ein Land ist, wo ein Ausländer mit mannigfaltigen Komplikationen rechnen muss. Diese Tatsache kann auch dadurch begründet werden, dass viele AusländerInnen Schwierigkeiten mit der Integration haben. Die Visa-Angelegenheiten und die Bürokratie nehmen hier viel Zeit in Anspruch und sind nicht immer so günstig im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, wie z. B. Deutschland. Die einzige Sprache der Kommunikation mit Beamten und Ärzten ist meistens ausschließlich Tschechisch, deshalb befasst man sich in erster Linie mit dem Studium der Sprache. Des Weiteren habe ich auch bemerkt, dass Tschechen wirklich eher zurückhaltend sind und aus tschechischen Bekannten nur langsam Freunde werden können.

Als ich im Herbst 2019 nach Tschechien kam, war ich äußerst glücklich. Ich habe nie meine Entscheidung, nach Tschechien zu kommen, bereut und lebe zufrieden in Brno. Auch wenn die Zeiten aktuell nicht einfach sind, darf ich nicht nach aller Mühe, die ich mir genommen habe, aufgeben oder gar pessimistisch wirken. Es freut mich sehr, dass die Mehrheit der Befragten auch eher positiv eingestellt ist und versucht, ihr Bestes zu tun, um das Leben in Tschechien erfolgreich und gut zu gestalten, trotz der ungünstigen politischen Umstände, die das Leben hier sehr erschweren. Eine Entscheidung zu fällen, sich von der Familie zu trennen und weit weg zu gehen, unabhängig zu leben und nur mit sich selbst rechnen zu können, alle bürokratischen und anderen Probleme, besonders in der heutigen schwierigen Zeit, selbständig zu lösen, Energie, Geld und Kraft in seine Zukunft zu investieren, verdient viel Lob. Ich wünsche also an dieser Stelle allen Studierenden aus dem Ausland viel Erfolg und Glück im Leben, im Studium und mit ihrer Arbeit in der Tschechischen Republik!

[1] Hierzu zählen die Länder, die früher ein Teil der UdSSR waren. Der Begriff post-sowjetischer Raum mag umstritten klingen, ich meine jedoch damit nur die historische Dimension der jeweiligen Länder und lege keine womöglich abwertende sozial-politische Konnotation darauf.

[2] In dieser Reportage wird konsequent die Benennung Belarus und nicht Weißrussland gebraucht, obwohl sie synonymisch erscheinen mögen, weil das Letztere seit einiger Zeit mehr mit dem Lukaschenka-Regime und der Abhängigkeit von Russland assoziiert wird.

[3] EuroEducation, genauso wie eine andere Schule Go Study, ist eine Organisation, die die Kursen der tschechischen Sprache anbietet als auch die Vorbereitungskursen für das Studium an einer tschechischen Universität. EuroEducation unterstützt und konsultiert auch viel bei unterschiedlichen Fragen, die mit Einreisegenehmigungen und Visa-Beantragungen zu tun haben. Beide Schulen haben ihren Sitz in Brno und orientieren sich überwiegend an den Studierenden, die aus post-sowjetischen Ländern kommen.

[4] Nach den grausamen Ereignissen an der Karlsuniversität in Prag im Dezember 2023 kann die Frage der Sicherheit an einer Universität etwas anders verstanden werden. Bei dieser Reportage gemeint war eher, ob sich ein interviewter Student an der MUNI als Ausländer sicher und geschützt fühlt, nicht diskriminiert und gut behandelt wird.

[5] Dieses Was sollte angeblich etwas feindselig und gleichzeitig verwunderlich geklungen haben.

[6] Russische Bastarde

[7] ein beschissener Russe

[8] https://brnensky.denik.cz/zlociny-a-soudy/soud-vrazda-brno-muz-z-ukrajiny-brnenska-prehrada-smrt-roma-pobodani-konflikt.html (letzter Zugriff: 30.01.2024)


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